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  • Andreas

Rezension: Tschernobyl – Swetlana Alexijewitsch


Rezension Tschernobyl

Zwei Rezensionen zu Tschernobyl haben mich auf das Buch aufmerksam gemacht, es würde einen bewegen und zum Nachdenken anregen, hieß es. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich eigentlich nicht viel über die damaligen Ereignisse, außer das der Atomreaktor explodiert ist. Dieses Buch befasst sich nicht mit den Geschehnisses als solche, sondern mit den Folgen. Und zwar den ganz persönlichen, die der betroffenen Menschen.

In dem Buch gibt es keine chronologische Reihenfolge der Erzählungen. Wie auch, denn Tschernobyl ist für die Opfer allgegenwärtig und das seit fast 30 Jahren. Egal ob es um die heroische Unterstützung der „freiwilligen“ Arbeiter in den ersten Minuten, die Aussagen von Ärzten, Erziehern und Lehrern, Physikern oder Kindern geht. Sie alle geben Geschichten wieder, die schlicht unter die Haut gehen. Wenn 6- oder 7-jährige Kinder vom Tod berichten, wie er ihr Leben und Denken verändert, weil sie all ihre Freunde oder gar Familie verloren haben, dann verschlägt es einem die Sprache. Sich eine Jugend vorzustellen, die ohne Lachen sondern mit Verachtung über ihre Herkunft aufwächst, ist schlicht grausam.

Es gab zwei Stellen, die mich mehr als bewegt haben. In der Ersten ging es um einen Mann, der zu einem Team gehörte, dass die Straßen von den streunenden Haustieren befreite. Sie haben die Tiere gesucht, erschossen und in großen Gruben vergraben. So lange bis ihnen die Kugeln ausgegangen sind und sie die lebenden Tiere so hineingeworfen haben. Ein junger Dackel versuchte wieder aus dem Loch heraus zu krabbeln und wurde mit dem Fuß zurück geschubst. Dieses Bild ist mir etliche Tage nicht aus dem Kopf gegangen, als hätte man die Unschuld und Menschlichkeit selbst einfach vergraben, um sie zu vergessen.

Die zweite Szene ist gleichzeitig die Letzte im Buch. Sie wird von einer Frau wiedergegeben, die ihre große Liebe verloren hat. Vom Kennenlernen, der Entwicklung der besonderen Bindung zwischen ihnen, bis hin zum qualvollen und zähen Tod ihres Mannes, begleitet man sie. Man lernt eine Hülle kennen, die kaum noch fühlt, sich permanent in der Vergangenheit verliert und nicht einmal ihre Kinder wirklich wahr nimmt. Diese Worte haben mich zu Tränen gerürt, weil sie exakt das wiedergeben wofür Tschernobyl tatsächlich steht: unendliches, menschliches Leid – nicht für einen zerstörten Reaktor.

So gut mir dieses Buch gefallen hat, so gibt es dennoch etwas, dass mich sehr gestört hat: es ist unheimlich schwer zu lesen. Es mutet teilweise an nur Gedankenschnipsel wahrzunehmen, weil die Sätze nur in Abschnitten und ohne Satzzeichnen wiedergegeben werden. Dies mag sicherlich zwei Gründe haben: die Menschen erzählen wie es ihnen gerade in den Kopf kommt sowie die unterschiedliche Tonalität der russischen Sprache. Das macht es zwar autentisch, sprachlich baut sich aber kein Lesefluss auf. Eine leichtere Verarbeitbarkeit hätte für mich ebenfalls zum Literaturnobelpreis gehört.

Tschernobyl – eine Chronik der Zukunft muss man aber gelesen haben.

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